
Aus diesen Ergebnissen wurde ein Modell mit zwei verschiedenen Korrosionswegen für das Fortschreiten der Korrosionsfront entlang dieser Grenzfläche entwickelt. Zunächst schreitet die Lokalanode schnell entlang der Korngrenzen voran und wird begleitet von dem komplementären kathodischen Bereich. Die nachfolgende Hauptkorrosionsfront kann somit schneller auf dem vorgeschädigten Substrat voranschreiten. Ausgehend von diesem Modell würde eine Inhibierung der Korngrenzenkorrosion auch eine Verlangsamung der Hauptkorrosionsfront mit sich bringen.
Im zweiten Teil dieser Studie wurden Materialien für die gezielte Adressierung an die Korngrenzen synthetisiert und untersucht. Als Steuerungselement wurde hierfür das anodische Auflösungsverhalten der Korngrenzen und die damit verbundene lokale Freisetzung von Aluminiumkationen angewendet. Unter den zunächst untersuchten klassischen Techniken wie Phosphatierung und spontane Oberflächenpolymerisation zeigte die autophoretische Polymerabscheidung die vielversprechendsten Ergebnisse bezüglich der Selektivität des Abscheidemechanismus. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden Blockcopolymer-Dispersionen mit funktionalen Haftgruppen für oxidische Substrate (Carboxyl-, Phosphonsäure und Triethoxysilan) für die gezielte Korngrenzenapplikation synthetisiert. Die Abscheidung dieser Polymerdispersionen an den Korngrenzen konnte durch die kontrollierte Freisetzung von Aluminiumkationen im pH-Wertbereich 2,5 - 4,0 erfolgen. Die Destabilisierung der Dispersionspartikel durch dreiwertige Aluminiumkationen führte schließlich zur selektiven Belegung der korrosiven Schwachstellen. Die abschließenden Korrosionstests zeigten eine drei- bis zwanzigfache Verringerung der Schädigung entlang der Korngrenzen, wenn diese gezielt mit den synthetisierten Blockcopolymeren belegt und somit inhibiert wurden.

Es konnte gezeigt werden, dass unbehandelte Korngrenzen auf HDG-Stahl eine verstärkte Korrosionsaktivität aufweisen, welche durch die gezielte Applikation geeigneter Polymere exklusiv an diesen Schwachstellen herabgesetzt werden kann. Dieses Konzept für selektiven Korrosionsschutz birgt ein hohes Potenzial als Strategie zur ressourcenschonenden und umweltfreundlichen Vorbehandlung von Stahloberflächen.