Selbst Organisation

Orientierungsgeordnete Polymere

Dieses Forschungsprojekt sucht Möglichkeiten, mit polymeren Materialien durch Einführung einer spontanen Orientierungsordnung zu mechanisch optimierten Werkstoffen zu kommen.

Lange Ketten polymerer Werkstoffe verknäulen sich. Der flüssige und auch der glasartig erstarrte Zustand solcher Materialien sind durch eine Nahordnung von Position und Orientierung der Kettensegmente gekennzeichnet. Erst bei Übergang in eine kristalline oder teilkristalline Phase stellt sich mit einer Positionsfernordnung von Kettensegmenten zwangsläufig auch eine Orientierungsordnung ein. Diese kann weitreichend sein und ist dann als Fernordnung zu beschreiben.

Niedermolekulare Systeme zeigen bei passender Molekülform (z.B. starre Stäbchen oder Scheibchen) zwischen der isotropen und der kristallinen die "flüssigkristallinen" Phasen, welche eigenständige, thermodynamisch stabile Zustände darstellen ("Mesophasen"). In diesen Fällen liegt keine oder nur eingeschränkte Positionsfernordnung (wie in einer gewöhnlichen Flüssigkeit), aber stattdessen eine spontane Orientierungsfernordnung vor (wie in einem gewöhnlichen Kristall).

Aufgrund dieser aus Flüssigkeit und Kristall kombinierten Ordnungsmerkmale weisen niedermolekulare Flüssigkristalle nützliche Materialeigenschaften auf, u.a. optische und dielektrische Anisotropie, welche die Basis für LCD (Displays) darstellen.

Eine naheliegende Frage ist, ob auch polymere Werkstoffe synthetisiert werden können, die sich spontan orientierungsfernordnen und damit die besonderen Eigenschaften von Flüssigkristallen mit denen von Polymeren verbinden. Eine Orientierungsordnung von Kettensegmenten kann sich jedoch aufgrund der Fixierung an oder in die Polymerhauptkette nur eingeschränkt bilden. Die Realisierung polymerer Flüssigkristalle gelang daher erst viel später als die der niedermolekularen. Formanisotrope, starre Struktureinheiten in oder an einer Polymerhauptkette benötigen lange, flexible Zwischenglieder ("Spacer-Gruppen") zur Ausbildung einer Orientierungsfernordnung.

Flüssigkristalline Hauptkettenpolymere haben vor ca. 30 Jahren ihre technische Anwendung als hochfeste Materialien gefunden. Ein Beispiel hierfür ist die Aramidfaser Kevlar, welche zu extrem belastbaren Tüchern verwoben wird, z.B. für Segel von Yachten oder auch als verstärkende Komponente in Kompositmaterialien analog zu faserverstärkten Kunststoffen. Aufgrund ihrer Orientierungsordnung weisen solche Materialien einen geringen thermischen Ausdehnungskoeffizienten auf und sind auch deswegen für die einfache Fertigung komplexer, hochfester  Leichtbauteile vorteilhaft.

Das Vorbild Natur zeigt zahlreiche Beispiele für hochfeste Biopolymer-„Bauteile“; dazu gehören die Flügeldecken des Rosenkäfers und auch Muschel- und Hummerschalen. Letztere weisen eine ausgeprägt hierarchische Mikrostruktur auf: Die Biopolymerketten sind in der untersten Hierarchieebene der molekularen Organisation zu Strängen zusammengefasst, mehrere Stränge zu Bündeln, welche ihrerseits in unidirektionalen Schichten angeordnet sind. Stapelung solcher Schichten führt in der höchsten Hierarchieebene zu der bekanntermaßen widerstandsfähigen Hummerschale. Eine Besonderheit liegt dabei in der Art der Stapelung verborgen: Die Vorzugsrichtung der Faserbündel ist von Schicht zu Schicht verdreht; damit liegt eine sperrholzartige Struktur vor, welche hochgradig biegesteif, zäh und trotzdem leicht ist.

Angeregt durch natürliche Vorbilder sollen technische Materialien durch Einführung von Orientierungsfernordnung hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften verbessert werden.